V o r w o r t (Walter Oscar Grob, 1969)
Auf einer Expedition durch Japan und Hinter- und Vorderindien sind diese Werkuntersuchungen an Ort und Stelle vor den Originalen gezeichnet und geschrieben worden. Ich versuchte dabei, den schöpferischen Arbeitsvorgang, in dem das Werk entstanden ist, herauszuarbeiten, um damit ein möglichst tiefes Verständnis des betreffenden Werkes zu finden. Die intime Kenntnis des künstlerischen Schaffens, gewonnen beim eigenen Arbeiten und beim kunstpädagogischen Wirken, ermöglichte mir ein subtiles Herausarbeiten der Gestaltungsmittel und damit einen Einblick in viele Zusammenhänge, die als Ganzes die geistige Substanz eines Werkes bedeuten. Ohne den Bildinhalt vorher zu kennen, ohne die Mythologie zu studieren, versuchte ich, jedes Werk aus sich selbst heraus zu lesen. Nur ausnahmsweise wurden später in einem Anhang eine Durcharbeitung der mythologischen Deutung des betreffenden Werkes abgeschrieben und wie beim Relief von Deogarh die verschiedenen Meinungen nebeneinander gesetzt. Man rechne es also diesen Untersuchungen nicht als Fehler an, wenn sie weder Kunstgeschichte noch mythologische Deutung bieten, sondern einen Weg zeigen, wie die Bildsprache gesehen und gedeutet werden kann.
Wer über die Methode der Untersuchung und die gesamte Kunstauffassung Eingehenderes wissen möchte, lese meine Schrift: 'EINFUEHRUNG IN DIE DURCHSCHAUENDE KUNSTUNTERSUCHUNG', Zürich 1968.
Die vorliegenden Arbeiten sind nicht in rein rationaler Denkweise durchgeführt worden, weil ich der Ueberzeugung bin, dass dadurch vieles, für die Erfassung des Kunstwerkes ausserordentlich Wertvolles weggelassen, eingeschränkt oder umgedeutet würde. Die innere Wesenheit eines Kunstwerkes zu erschliessen, bedingt ein neues, ein durchschauendes Erfassen, das heisst: Das schauende Erkennen und Feststellen der sachlichen Existenz muss so weit als möglich verbunden sein mit einem Einfühlen und inneren Erleben der Bildsprache und des Bildinhaltes. Materielle Form und innerer Gehalt müssen in organischer Einheit erfasst werden. Aus diesem Grunde wird hier nicht die Geometrie zu Hilfe genommen, weil sie eine intellektuelle Abstraktion der in Wirklichkeit viel reicheren Zusammenhänge bildet. Menschen haben sie geschaffen, um mit diesem Hilfsmittel rechnen zu können. Die Berechnung führt aber sicher nicht zum Verständnis der unendlich reichen Zusammenhänge dieser asiatischen Kunstwerke. Der Künstler arbeitet normalerweise mit anschaulichen Mitteln, den bildhaften Gestaltungsmitteln, und nicht mit geometrischen Elementen, auch wenn manche dies falscherweise so bezeichnet haben. Aus all dem erkannte ich die Notwendigkeit, die durchschauende Bewusstseinsform einzusetzen um zu versuchen, mit einer Arbeit, die von der Analyse bis zur Synthese reicht, eine Fülle von Phänomenen in ihrer Verwendungsart, ihrem Beziehungszusammenhang und ihrer Hierarchie der Wirkungen so weit als möglich ganzheitlich zu erfassen.
Allen, die mir zur Verwirklichung der Expedition, während der Reise durch Asien und nachher bei der vieljährigen Ueberarbeitung der Manuskripte geholfen haben, möchte ich auch hier nochmals meinen herzlichsten Dank aussprechen, ganz besonders Herrn Prof. Mata-shiro Tezuka, Herrn Prof. Tsugiyoshi Doi, der Stiftung der Schweizerischen Landesausstellung 1939 Zürich für Kunst und Forschung, sowie der Ulrieo-Hoepli-Stiftung.
Walter Oscar Grob